Die Selbstzerstörung der CDU in Voerde

Die Selbstzerstörung der CDU in Voerde

Vor einigen Monaten erreichte das Video „Zerstörung der CDU“ des Youtubers Rezo große mediale Aufmerksamkeit. Witziger Weise braucht die CDU Voerde dafür gar keinen externen Impuls, sie schafft das auch von Innen heraus.

Nach dem Aufschlag gestern legt die NRZ noch ein Mal nach. Zunächst mit einem Beitrag über eine Versammlung der CDU und dann mit einem sehr pointierten Kommentar der Lokalredakteurin, Petra Kessler.

Dieser Artikel hier soll jetzt kein „Told you so“ werden. Das ist unnötig, denn wenn Ihr die NRZ-Artikel lest, werdet Ihr eh merken, dass Frank Steenmanns im Grunde die gleichen Dinge anspricht wie ich. Ich empfinde auch keine Schadenfreude. Vielmehr möchte ich in diesem Artikel 2 Dinge festhalten:

  1. Warum die aktuelle Eskalation schon seit 2015 absehbar gewesen ist und warum ich glaube sie mit Namen in Verbindung bringen zu können.
  2. Was die CDU machen könnte, wenn sie denn will.

Fangen wir an. Und ja, es wird ein längerer Text, deswegen packe ich ausnahmsweise mal ein TL;DR an das Ende des Beitrags.

Wieso 2015?

Meiner Meinung nach startet die Eskalation, die zum jetzigen, bisherigen Höhepunkt führte, spätestens 2015. Es ist für politische Beobachter offensichtlich, dass die CDU bei der letzten Kommunalwahl nicht verkraftet hat, dass sie im Rat nicht mehr machen konnte, was sie wollte – weil es plötzlich eine rot-grüne Mehrheit gab. In Ihrer Verzweiflung kam es immer wieder zu kleineren Auffälligkeiten, bei denen man nur sagen konnte: „Naja, sie haben sich einfach noch nicht an die Rolle in der Opposition gewöhnt“.

Seit Dezember 2015 kann man die CDU Voerde damit aber nicht mehr entschuldigen. Denn zum damaligen Zeitpunkt begann eine, noch immer anhaltende Phase, in der die CDU versuchte, mit Taschenspielertricks die Bürger*innen hinter das Licht  zu führen. Konkret rede ich von der Erhöhung der Grundsteuer B, der die CDU zustimmte und bei der sie im Nachgang versuchte, sich als betrogen und hintergangen darzustellen. Was definitiv unrichtig ist. Wer meinen Blog regelmäßig liest weiß, dass seit dem immer wieder die gleichen Namen hier auftauchen.

Machen wir einen Sprung nach 2019 und damit zum Wahlkampf, der zur verlorenen Wahl führte – damit das hier nicht zu langatmig wird.

In 2019 stand die Diskussion um die Verkleinerung der Anzahl der Wahlbezirke und damit des Rates an. Auch hier kam es wieder zu, wie ich es nennen würde, Taschenspieler-Tricks der CDU. Man versuchte, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Wie das überdeutliche Wahlergebnis in 2020 zeigen sollte, hat das nicht gefruchtet.

Ein weiteres Thema in 2019 war der „Klimanotstand“. Der war der CDU dermaßen ein Dorn im Auge, dass ernsthaft der erste(!) Satz des 9.(!) Punktes im Wahlprogramm (Umwelt- und Naturschutz) war: Wir werden den Klimanotstand beenden. Vielleicht meinte Frank Steenmanns, der ehemalige Bürgermeisterkandidat und scheidende Vorsitzende das, als er anbrachte:

„Für den scheidenden CDU-Chef stellt sich auch die Frage, ob die von „etlichen Menschen wahrgenommenen Kommunikationsdefizite“ in Richtung „grüner“ Themen und auch der Partei Bündnis 90/Die Grünen nur an handelnden Personen liege: „Ist dieser Diskurs für die Zukunft zielführend?““

Es ist jedenfalls auffällig, mit welcher Anstrengung sich die CDU-Fraktion gegen Maßnahmen zum Klimaschutz stellt – bis hin zu der denkwürdigen Aussage des Fraktionsvorsitzenden, selber Landwirt im Nebenerwerb, er könne vor dem Rathaus gar kein CO2 sehen. Das bemerkenswerteste Argument gegen einen Klimanotstand in Voerde war aber: Der Fraktionsvorsitzende wollte vermutlich verhindern, dass sich die Bürger*innen zu sehr engagieren.

Der gleiche Fraktionsvorsitzende, Ingo Hülser, begann dann übrigens mit Nachdruck im Internet das Gerücht zu streuen, ich würde Bürgermeisterkandidat werden wollen. Er wusste, dass das nicht so ist. Gleichzeitig aber vermied die CDU mit allen Mitteln zu verraten, dass Frank Steenmanns ihr Bürgermeisterkandidat werden sollte. Ob der Eindruck aufrecht erhalten werden sollte, dass es ein „offenes Rennen“ gäbe? Keine Ahnung.

Zur gleichen Zeit weigerte sich übrigens der Fraktionsvorsitzende der CDU, sich klar von der AFD zu distanzieren. Etwas, das Frank Steenmanns schon in seinem ersten Gespräch mit mir tat. Für Frank war völlig klar, die AFD ist kein Partner. Erst später schwenkte dann auch die Fraktion auf diesen Kurs ein.

Was ist jetzt der eigentlichen Grund für die Spannungen in der CDU? Man muss sich vorstellen, dass die CDU-Fraktion und auch der Ortsverband von den gleichen Leuten geführt wird. Mit dabei ist natürlich Ingo Hülser, der bekennender Anhänger der Werte-Union und von Friedrich Merz ist. Meiner Einschätzung nach ist das bei Frank Steenmanns nicht oder nicht in gleichem Maße der Fall. Wir haben hier also einen klassischen Lagerkampf innerhalb der CDU. Bei dem es natürlich auch um Einfluss und Macht geht, insbesondere für die Herren Hülser, Schneider, Langenfurth und Kotzke. Kotzke ist auf dem Merz-Foto rechts von Hülser zu sehen. Und jetzt schaut doch mal, welche Gruppe im Wahlkampf ein „neutrales“ Buch an Kinder verteilt.

Wenn jetzt Frank Steenmanns fordert, dass die CDU sich mehr für Frauen und junge Menschen öffnet, spricht er damit die genannten Herren direkt an. Insbesondere bei den Frauen ist ja ein Problem offensichtlich:

„Auch werde die zur Kommunalwahl 2020 aufgestellte Reserveliste oft negativ gesehen: Im Ergebnis sitzt mit Monika Schmitz nur eine einzige Frau für die CDU im Stadtrat. Ob diese eine Frau die Frauen in Voerde repräsentiere, fragte Steenmanns. Der Anteil der Frauen, deren Platzierung und damit Chancen stimmten nicht. Die erste Frau war bei der CDU eben mit Monika Schmitz auf Rang neun der Reserveliste gesetzt. Die nächste folgte auf Platz 16 mit Katrin Cornelißen. Sie konnte über die Reserveliste gar nicht zum Zug kommen, da die CDU in den neuen Stadtrat mit nur 13 Sitzen einzog. Vier Wahlbezirke hatte sie direkt geholt.“

Das bedeutet, dass aus den zwei Frauen, die in der letzten Periode für die CDU im Rat saßen, nunmehr eine (1) wurde. Vom Altersdurchschnitt mal nicht zu reden. Und auch beim Nachwuchs kann man die Frage stellen, welchen Einfluss Jan Langenfurth hier ausübt, der – wenn ich das richtig sehe – in der JU mit den Ton angibt.

Und was bedeutet das?

Für mich stellt sich das so dar, als hätte die CDU Voerde das berühmte „alte weiße Männer“-Problem. In meiner Wahrnehmung dreht sich vieles um die Herren Hülser, Langenfurth, Schneider und neu Kotzke. Diese Herren (beileibe nicht die einzigen) sind teilweise schon sehr lange in Positionen, die erheblichen Einfluss mit sich bringen. Sie stehen für eine Politik, die aus meiner Sicht eher in die 60er Jahre gehört, wenn nicht gar in die 50er Jahre.

Eine Partei, die 2020 nur eine einzige Frau in ihrer Ratsfraktion hat, keine die nach außen auftritt. Eine Partei die 2020 mit aller Kraft sich gegen Maßnahmen zum Klimaschutz stemmt – obwohl der Fraktionsvorsitzende selbst den Klimawandel jeden Tag erlebt. Eine Partei, die 2020 versucht die Menschen hinters Licht zu führen und sich dabei – vor allem auf Facebook – extrem dilettantisch verhält. Eine solche Partei muss sich nicht wundern, wenn sie abraucht.

Wenn jetzt Menschen wie Frank Steenmanns, denen ich Reformen zutraue, „kaltgestellt“ werden, ist das ein Problem: Ein Bürgermeisterkandidat, der Spitzenkandidat der Liste ist und bei seiner Niederlage nicht Fraktionsvorsitzender wird, spricht Bände. Ebenso, dass er in der Fraktion eigentlich gar keine Rolle spielt und jetzt auch noch als CDU-Chef hinwirft.

Hier scheint sich ein Mal mehr der Kern derer durchgesetzt zu haben, die aus eigenen Interessen keinen Wandel wollen. Oder, wie es die NRZ heute bringt:

„Aber so weit scheint die CDU in Voerde auf absehbare Zeit noch nicht zu sein. Die Zeichen stehen eher auf „möge doch alles beim Alten bleiben“. Das ist zwar bequem und dient der Sicherung eigener Pfründe. Im Sinne der CDU aber kann dies sicherlich nicht sein. Da hilft es auch nicht, vor der Wahrheit einfach wegzulaufen.“

Die Lösung ist eigentlich einfach: In der CDU muss es einen massiven Wechsel des Führungspersonals geben.

Eigentlich ist hier natürlich das Zauberwort, denn wie auch die NRZ feststellt, scheint es im Moment eher um die Sicherung der eigenen Pfründe zu gehen und wer wird schon gegen die alten Chefs den Aufstand proben? Was mit abweichenden Meinungen passiert, konnte man jetzt zwei Wahlkämpfe hintereinander sehen:

  • Simone Kaspar, Bürgermeisterkandidatin der CDU und Beigeordente. Verlies die Stadt.
  • Frank Steenmanns, Bürgermeisterkandidat der CDU und Vorsitzender. Zieht sich zurück.

In sofern habe ich wenig Hoffnung, dass sich in den kommenden 5 Jahren bei der CDU grundlegend etwas ändert. Allerdings muss man kein Prophet sein um zu erkennen, was das bedeutet. Denn die alten Stammwähler werden weniger und der intern Widerstand wird größer. Die Frage ist jetzt, ob die Herren am Ruder rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkennen und gegensteuern – oder ob es irgendwann richtig knallt.

Und als Grüner?

Ich bin natürlich mit einem Bias versehen, zumal ich ja Grüner in Voerde bin. Ich habe allerdings schon vor vielen Monaten festgestellt, dass mein Problem nicht die CDU in Voerde ist, sondern die handelnden Personen. Hätte ich mir einen Neuanfang mit einem Fraktionsvorsitzenden Steenmanns vorstellen können? Ja. Kann ich mir eine baldige Entspannung mit einem Fraktionsvorsitzenden Hülser vorstellen? Nur mit Mühe und viel Anstrengung auf beiden Seiten.

Es steht mir nicht  zu, Ingo Hülser und Co. einen Rücktritt nahe zu legen. Ich glaube allerdings, dass bei gleichbleibendem Kurs andere das übernehmen werden. Und ich bin sicher, wenn sich der Kurs der CDU nicht massiv ändert, wird es in den nächsten 5 Jahren immer wieder zu Situationen kommen in denen man die Frage stellen muss: Liegt das an der CDU oder den handelnden Personen?

Und das ist ja so offensichtlich, dass es sogar in der Zeitung steht:

„Vielen wirke sie als „verkrustet, wenig innovativ, wenig urban“, Ämterhäufung, statt jungen interessierten Leuten Platz zu machen. Es fehle die inhaltliche und personelle Erneuerung. Der hohe Grad an Doppelfunktionen in Parteivorstand und Fraktion tue der Parteiarbeit nicht gut.“

 

TL;DR

Die CDU Voerde hat zugelassen, dass sich eine Gruppe „alter weißer Männer“ in Machtpositionen verschanzt. Sie hat unnötig die politischen Kanäle zu den Grünen und der SPD beschädigt. Nur durch einen konsequenten Austausch der bisherigen Führungspersonalien und eine 180°-Wende in der „wir lieben Merz“-Politik ist absehbar damit zu rechnen, dass die CDU in Voerde wieder zu alter Stärke gelangt.

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Was bisher geschah…

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