Das die Bundesregierung oftmals das Grundgesetz als Hemmnis zu begreifen scheint, ist soweit nix neues. Um so glücklicher ist man vermutlich, wenn man Formulierungen findet wie:
„In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“
Denn dann macht man schnell ein Gesetz und Schwupps…
Gerade höre ich auf WDR 2, dass man wegen der Kritik der Rabbiner-Konferenz ganz schnell ein neues Gesetz braucht. Demnach, so WDR 2 und der verlinkte Artikel, hat der Chef der Rabbiner-Konferenz die Bundesregierung unter Zugzwang gesetzt:
„Sollte das Kölner Urteil in Gesetzesform gegossen werden, würde dies bedeuten, dass es für einen großen Teil der jüdischen Gemeinden „keine Zukunft in Deutschland“ geben werde, mahnte Goldschmidt.“
Das dürfe, so die Reporterin auf WDR 2, nicht sein: Deutschland sei das Land des Holocaust und hier sei dafür zu sorgen, dass Juden sich entfalten können.
Gut.
Grundsätzlich stimme ich dem zu. Soll jeder Glauben, was er will.
Nur…
Es geht hier um Beschneidung. Da werden die Geschlechtsteile von kleinen Jungen – in der Regel wohl gegen deren Willen – verstümmelt. Für mich ist das analog zur Verstümmlung weiblicher Genitalien, gegen die die Bundesregierung ja mit viel Kraft angeht.
Das soll jetzt aus „religiösen Gründen“ erlaubt werden und hier kommt der Eingangs erwähnte Satz zum Tragen. Denn im Artikel 2 des Grundgesetzes steht:
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Und eben weil dieser Eingriff durch ein Gesetz möglich ist, haben sich jetzt bis auf die Linke mal eben alle Fraktionen bereit erklärt, die Verstümmlung von Jungen auf Grund der religiösen Ansichten der Eltern zu legitimieren.
Ich persönlich finde das zum Kotzen.
Jeder darf mit sich machen, was er will. Das aber Kindern Gewalt angetan wird, weil die Eltern einem Glauben folgen in dem Gott perfekt ist und den Menschen mit einem durch den Menschen zu korrigierenden Fehler geschaffen hat, geht gar nicht.
Es ist mir auch nicht ersichtlich, warum rituelle Beschneidungen von Mädchen was anderes sein sollen als rituelle Beschneidungen von Jungen irgendwo auf der Welt.
Ein solches Gesetz zur Legitimation von Beschneidungen ist grundsätzlich abzulehnen, da es mit der Menschenwürde und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit der Betroffenen unvereinbar ist. Die Religionsfreiheit der Eltern darf nicht höher gewertet werden, als das gesundheitliche Wohl der Kinder!
Naja, zwischen der weiblichen und der männlichen Beschneidung besteht immer noch ein sehr großer Unterschied. Insofern kannst du nicht einfach sagen, das ist ein und das selbe. Nichtsdestotrotz wäre es äusserst blamabel für Deutschland, wenn wir auf der einen Seite Gerichte haben, die zu Recht feststellen, dass das Schwachsinn ist, und zum anderen irgendwelche Fundis, die dann meinen, sie müssten trotzdem dafür sorgen, das es zugelassen wird. Erinnert mich irgendwie an die Diskussion Alkohol, Nikotin, Haschisch…
Ich frage mich immer wieder wie die Beschneidung von Frauen als Verstümmelung betrachtet wird und die Beschneidung von Jungen mit religiösem Hintergrund erstrebenswert sein soll, man zeige mir mal die Frau, die sich freiwillig das Klitorisvorhäutchen entfernen lasse will und das auch noch ohne Betäubung.
Ich bin ein Gegner jeglicher Beschneidung,was soll so schlimm daran sein einen Jungen beim erreiche seiner Religionsmündigkeit mit 14 die Wahl zu lassen.
@aga80
Ich bin gestern mehrfach darauf angesprochen worden, man könne das nicht vergleichen zwischen Jungen und Mächen:
https://twitter.com/Rezisto/statuses/223775716767047682
Ich bin der Meinung man kann und muss. Es geht mir dabei nicht um die Praxis selbst oder welcher Teil wie verändert wird. Es geht mir darum, dass an Kindern auf Grund einer religiösen Überzeugung ein chir. Eingriff vorgenommen wird. Der an sich Gefahren mit bringt.
Ob, wie Rezisto anführt, sich die Beschnittenen hinterher als Opfer sehen oder nicht spielt dabei m. M. n. keine Rolle. Es ist eine Frage des Prinzips und das lautet hier für mich relativ eindeutig:
Ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit aus religiösen Motiven ist abzulehnen.
Das ist dann auch einer der wenigen Punkten an denen ich nicht kompromissbereit bin – weil alle Grenzsetzungen was erlaubt ist und was nicht, rein willkürlich sind. Und wenn ich schon höre „aber das ist doch eine tausende Jahre alte Tradition“, dann muss ich kotzen. Denn wir leben heute hier und jetzt und nicht im Früher. Früher hat man Rothaarige verbrannt, Frauen durften nicht wählen, Auto fahren und am Besten nicht reden, Schwule und Lesben galten als Krank und gegen Warzen halfen Beschwörungen.
Das Religionen alt sind rechtfertigt nicht, dass heute auch noch die Teile praktizieren, die nun mal schlicht und ergreifend eine Körperverletzung an einem Schutzbefohlenen darstellen.
@Hackwar
Wo ist denn der Unterschied, also wo ziehst Du die Linie? Was sollte danach erlaubt sein, was nicht?
Siehe meinen Kommentar zu Aga: Es ist für mich eine Grundsatzfrage, in der ich nicht abwägen will und kann.
Ich bin sehr dafür, dass jeder glauben darf, was er will. Und ich bin auch sehr dafür, dass sich jeder so verstümmeln darf wie er will. Ich habe da auf einem FKK-Campingplatz schon die … lassen wir das.
Das Entscheidende ist das „wie er will“. Und das ist bei kleinen Kindern ganz einfach nicht gegeben. Warum ist man bei der Geburt evangelisch, katholisch, muslimisch, jüdisch? Das kann doch das Baby nicht entscheiden – und das wo es eine „Glauben“sfrage ist. Das Kind kann noch nicht glauben. Und es kann sicher auch noch nicht entscheiden, ob es so eine Verstümmelung möchte oder nicht.
Grundsätzlich gibt es gesundheitliche Indikationen, die die Beschneidung bedingen – kenne das aus unserer Familie. Aber das ist was anderes, als wenn man dazu die ganze Straße einlädt und ein rituelles Fest daraus macht. Das kann ich in keinster Weise gut heißen. Auch schon nicht vor dieser öffentlichen Diskussion.
@unkreativ
Versteh mich nicht falsch, ich bin da völlig bei dir. Grundsätzlich ist eine Beschneidung aus religiösen Gründen eine Körperverletzung und gehört verboten. Einschränkend dazu gibt es jedoch zwei Sachverhalte, die es aus meiner Sicht nicht so schlimm machen, wie eine weibliche Beschneidung:
1. Aus medizinischer Sicht hat eine Beschneidung wohl Vorteile. Diese sind jedoch wohl nicht so eindeutig größer als die Nachteile, dass die amerikanischen Ärzte hier grundsätzlich eine Beschneidung empfehlen. Vgl. USA erklärt.
Beim Vergleich der weiblichen und der männlichen Beschneidung spielt allerdings vor allem eine Rolle, das bei Männern lediglich ein Stück Haut ohne (nennenswerte) Nervenzellen und Blutgefäße entfernt wird und hierbei lediglich ein Infektionsrisiko vorliegt. Bei Frauen reden wir jedoch bei einer Beschneidung im Normalfall von einer (Teil-)Entfernung der Schamlippen mit massiven Nervenschäden und Blutgefäßen, welche zum Verbluten führen können. Darüber hinaus wächst dabei der Eingang zur Vagina zu und bereitet sowohl beim Urinieren als auch beim Sex höllische Schmerzen. Dazu kommt noch das Infektionsrisiko. Hier besteht also rein physisch schon ein massiver Unterschied, denn es wird faktisch der aktive Teil des Sexualorgans entfernt.
2. Gegen eine Beschneidung im jugendlichen/erwachsenen Alter spricht vor allem die sehr viel schlechtere Wundheilung und das sehr viel höhere Risiko von Komplikationen. Bei Babies wächst das nunmal innerhalb von „wenigen“ Tagen wieder zu und gut ist. Bei Jugendlichen heilt es erstens sehr viel langsamer und zweitens braucht der Junge nur einmal eine Latte zu kriegen und schon sind alle Nähte und Wunden wieder offen und das Spiel geht von vorne los. Und wenn ich mich jetzt daran zurück erinnere, wie ich mit 14 war, dann wäre das auf jeden Fall problematisch gewesen mit so einer OP.
Ja, Beschneidung aus religiösen Gründen ist abzulehnen, aber ich verstehe, wieso die Religiösen auf eine Beschneidung bei Neugeborenen bestehen. Danach würde es kein Mann mehr freiwillig machen. Vielleicht können wir uns darauf einigen, das bei einer männlichen Beschneidung die Eltern für ein Jahr in den Knast kommen und bei einer weiblichen Beschneidung hinter denen zugeschlossen und der Schlüssel weggeworfen wird.
Das Fazit ist ja mal geil 😀
@Hackwar
@Hackwar ja schön du führst die Pharaonische Beschneidung bei der Frau an, das ist die brutalste aller Beschneidungen und macht mehr als nur betroffen. Auf der Wiki gibt es einen ausführlichen Artikel über die weibliche Beschneidung /Verstümmlung, da wirst du, sobald du dich nicht mehr übergeben musst, verschiedene Arten der Beschneidung und weitere Informationen finden, danach ließ vielleicht auch mal den Wiki Artikel zur Männlichen Beschneidung.
Mir geht es einfach nur darum, bei Frauen spricht man von Gewalt, bei Männern nur von einem Stück Haut, das mit Verlaub nach der Peniseichel, der Zunge, den Fingern und den Lippen die meisten Nervenenden hat, deshalb habe ich auch mit Absicht das Beispiel mit der Klitorisvorhaut gewählt.
Ich habe schon mit einigen Frauen so eine Diskussion geführt, aber immer kommt das Argument, das ist ja nur ein Stück Haut … nur weil die pro Beschneidungspropaganda sagt das täte nicht weh muss das nicht stimmen.
Außerdem sind die meisten Vorteile, die bei der männlichen Beschneidung angeführt werden, in der Regel eh erst bei erwachsenen Männern von Bedeutung, so das man das nicht schon Babys oder Kleinkindern antun muss.
@Unkreativ du darfst auch gerne was dazu anmerken. 😀
Ich möchte gerne auf den Beitrag im Internet-Law-Blog verweisen:
http://www.internet-law.de/2012/07/die-beschneidung-des-rechtsstaats.html
Männliche und weibliche Beschneidung ist sehr wohl vergleichbar:
http://bloganddiscussion.com/argumentevonfemastasen/1370/maennliche-beschneidung-vs-weibliche-beschneidung/