Systematisierte Unverantwortung

Während sich Deutschland Gedanken darüber macht, wie man mit dem Fall Hoeneß umzugehen hat, passiert an anderer Stelle etwas, das ich persönlich mit dem Begriff „Systematisierte Unverantwortung“ bezeichne. Es geht um die Frage, wieso an bestimmten Stellen so viele Entscheider gleichzeitig die Verantwortung von sich weisen können, dass am Ende niemand schuld ist – und schuldhaftes Verhalten plötzlich keine Folgen mehr hat:

Im Jahr 2011 wurden in Dresden und Umgebung fast 1 Million Datensätze aus den Handynetzen abgesaugt. Tausende und Abertausende, die nichts falsches gemacht haben, wurden durchleuchtet – weil sie im falschen Moment an der falschen Stelle waren.  Netzpolitik.org dazu:

Rund um den 13. Februar 2011 wurde in Dresden eine ganze Reihe an Funkzellenabfragen durchgeführt. Als “Handygate” bekannt wurde eine Abfrage mit 800.600 Verkehrsdaten und 229 Bestandsdaten in der Südvorstadt mit dem Aktenzeichen “270 Gs 711/11″.

Nunmehr 2 Jahre später stellt endlich das Oberlandesgericht unwiederuflich fest, dass die getroffenen Maßnahmen nicht rechtmäßig waren. Aus dem Urteil:

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 25.02.2011, 270 Gs 711/11, rechtswidrig ist. Die aufgrund dieses Beschlusses erhobenen Daten sind zu löschen.

Es wird festgestellt, dass die Erhebung und Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten und der Bestandsdaten des Betroffenen durch das Landeskriminalamt Sachsen auf der Grundlage der Anordnung des Amtsgerichts Dresden, erlassen mit Beschluss vom 25.02.2011 (207 Gs 711/11), rechtswidrig war.

Als Ursache spricht Netzpolitk von einem bekannten Phänomen: Der anordnedne Richter hat sich gar nicht intensiv damit beschäftigt, was Staatsanwaltschaft und Polizei da eigentlich wollen – sondern einfach genehmigt:

Vielmehr wies die ursprüngliche Anordnung des Amtsgerichts Mängel auf, sie genügte wohl den Mindestanforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz nicht. Unjuristisch vereinfacht: Das Amtsgericht hatte die Funkzellenabfrage einfach pauschal angeordnet, ohne genau genug zu sagen, warum. Aufgrund diesen schwerwiegenden Mangels führte das Landgericht gar keine tiefer gehende inhaltliche Prüfung des Falls durch.

Das Problem an sich ist jetzt, dass niemand verantwortlich gemacht wird. Der Richter? Unabhängig und unangreifbar (was ich im Prinzip übrigens befürworte!). Der Staatsanwalt? Hat nur gemacht, was die Polizei wollte. Die Polizei hat beantragt, genehmigt hat schließlich der Richter. Und so drehen sich alle im Kreis und der vieltausendfache Eingriff in die persönlichen Rechte unbescholtener Bürger bleibt ohne Frage.

Dummerweise wissen wir aber, dass Systeme in denen Fehlverhalten keine spürbare Folgen hat, dazu neigen die gleichen Fehler immer wieder zu wiederholen. Oder andersherum, warum soll die Polizei eine solche Datensammlung nicht mehr fordern und ein (überarbeitetert, fachlich nicht kompetenter oder vielleicht gar unwissender) Richter sie wieder genehmigen? Man kann ja klagen, bekommt 2 Jahre später auch Recht…. und dann… siehe Anfang deises Absatzes.

Zwei Möglichkeiten gäbe es, dem Ausufern solcher „Ermittlungsansätze“ Grenzen aufzuzeigen. Der erste Ansatz wäre, die Durchführung zu „verteuern“. Es müsste mehr Richter mit intensiver Fachkunde geben, die unbelastet von anderer Arbeit sich ausschließlich um solche Dinge kümmern wie Abhörmaßnahmen, Durchsuchungen oder eben Datenabfragen. Zugleich muss die Polizei verpflichtet werden, unmittelbar nach der Maßnahme alle betroffenen Menschen zu informieren und ihnen die Möglichkeit gewähren, in die Daten einsicht zu nehmen die erhoben wurden und diese dann zu löschen.

Ein solches Vorgehen würde Maßnahmen ab einem bestimmten Level uninteressant machen.

Ein anderer Ansatz wäre, eine persönliche Haftung einzufordern. Es muss doch möglich sein zu bestimmen, wer letztlich „den Hut auf hat“. Es kann doch nicht sein, dass der ermittelnde Kommissar auf seinen Vorgesetzt hinweist, der auf seinen, der auf seinen, der auf den Staatsanwalt und der auf den Richter. Man muss also die Entscheidungskette so drehen, dass  es jemanden gibt, der nicht der Richter ist, der aber sagt: Ja, ich habe die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit und die rechtmäßige Durchführung dieser Maßnahme.

Dabei geht es mir nicht darum hinterher jemanden bestrafen zu können. Aber über veranlasste Maßnahmen, für die man die Verantwortung trägt, denkt man ander nach, als über solche, die man mit seiner Unterschrift durch die Instanzen reicht.

Denn so wie es heute ist, haben wir ein System der Unverantwortung geschaffen, in dem jeder ohne persönliches Gefühl einer Fehlhandlung eine genau solche initiieren kann – in teilweise erschreckendem Ausmaß. Und vielleicht sogar mit guter Absicht.

Autor: unkreativ

Gelegentlich hat der Unkreative das Gefühl, er müsse Euch etwas wissen lassen. Das kann sinnvoll sein. Muss es aber nicht. ;-)