Kennt Ihr das? Wenn man glaubt Dinge zu verstehen um dann zu erfahren, dass man sie offensichtlich nicht versteht?
Bisher verstand ich das mit dem Windstrom so:
Viel Wind = viel Strom.
Das ist auch logisch, denn um so mehr Windkrafträder drehen, um so mehr Strom kommt ins Netz. Wohl gemerkt: Die Anzahl der Windkraftanlagen ist entscheidend, denn die Drehzahl und damit die Menge von Strom je Anlage ist relativ fix.
Jetzt ist das mit dem „Ökostrom“ ja so, dass der nicht so super berechenbar ist. Also bauen die Netzbetreiber Anlagen die dafür sorgen, dass der Strom immer schön gleichmäßig im Netz bleibt. Und sie kompensieren Schwankungen z. B. mit gut regelbaren Gaskraftwerken. Also wenn zu wenig Strom aus der Solar- und Windkraft kommt, wird einfach das Gaskraftwerk hoch gefahren und produziert mehr, so dass in der Theorie immer genug da ist.
Wenn dagegen zu viel Windstrom da ist, weil zu viele Anlagen in Betrieb sind oder zu wenig Strom kompensiert wird, haben die Netzbetreiber die Möglichkeit, Anlagen abzuschalten. Allerdings gilt hier eine Priorisierung: Es darf nicht abgeschaltet werden, um dann Ersatzstrom aus konventionellen Energieträgern einzuspeisen.
Heute lerne ich aber was etwas neues. Etwas, das mich verblüfft. Und bei dem mein interner Braincompiler irgendwas von „…does not compute…. syntax error…“ brabbelt. Nämlich:
Wenn zu viel Wind da ist und zu viel Strom produziert wird, muss man Kohlekraftwerke einschalten um noch mehr Strom zu produzieren um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Häh?
Wie bitte?
Mehr Strom gegen zu viel Strom?
Jepp, so steht es geschrieben:
Zur Sicherung der Stromversorgung greifen die Netzbetreiber in Deutschland das erste Mal in diesem Winter auf Reservekraftwerke zurück. Für Dienstag seien vorsorglich Anlagen mit einer Leistung von 850 Megawatt aktiviert worden, teilte der Netzbetreiber Tennet am Montag mit. Weitere 150 Megawatt könnten noch hinzukommen.
Grund hierfür sei unter anderem die in den kommenden Tagen erwartete starke Windfront, durch die die Systemsicherheit gefährdet werden könnte. Je mehr Ökostrom wie etwa Windenergie in das Netz eingespeist wird, desto größer ist die Gefahr, dass es zu Schwankungen kommt. Reservekraftwerke können kurzfristig dafür sorgen, dass die Einspeisung von Strom und der Verbrauch stets im notwendigen Gleichgewicht bleiben.
Das macht in meinen Augen doppelt keinen Sinn:
- Mehr Wind = Mehr Strom =/= höherer Verbrauch. Nur weil mehr Strom verfügbar wäre, wird nicht automatisch mehr Strom verbraucht, was bei einem Abfallen der Windkraft zu einer Übernutzung führen würde. Oder habe ich da was falsch verstanden?
- Insbesondere Kohlekraftwerke, die meisten Reservekraftwerke sind genau solche, sind nur schlecht bis gar nicht in der Leistung regelbar und viel zu träge um tatsächlich kurzfristige Leistungskompensation zu erbringen. Hierfür eignen sich die modernen Gaskraftwerke deutlich billiger.
Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: An meinem Verständnis der Stromnetze und Stromversorgung ist irgendwas komplett falsch – und auch meine mehrjährige Angehörigkeit im Energiebeirat des RWE konnte daran nix ändern.
Oder aber hier versucht gerade irgend jemand mich zu verarschen und der Westen hat, wie viel zu oft, absolut unkritisch wiedergegeben, was ein Anti-Ökostrom-Lobbybund von sich gegeben hat.
Ich würde da auf letzteres Tippen.